Interview mit der Schriftstellerin Madeleine Prahs

 

Madeleine Prahs im Gespräch über ihren neuen Roman Die Letzten

Im August erschien bei dtv Die Letzten, der in diesem Online-Magzin bereits besprochene neuer Roman von Madeleine Prahs. In dieser schwarzhumorigen Geschichte greift die 1980 in Karl-Marx-Stadt geborene Schriftstellerin u.a. das Thema des überdrehten Wohnungsmarktes auf. Sounds & Books hatte auf der Frankfurter Buchmesse das Vergnügen, ein Gespräch mit Madeleine Prahs über den Roman und andere Themen zu führen.

Madeleine, wir führen das Gespräch an einem Freitag, den 13.

Stimmt.

… und in Deinem neuen Roman „Die Letzten“ dreht sich alles um ein Haus in der Hebelstraße mit der Nummer 13. Bist Du zufällig abergläubisch?

(Lacht) Noch nicht. In meinem Roman ist das Haus Hebelstraße 13 ja eine eigenständige Figur. Es kommentiert nicht nur das Geschehen, es greift auch aktiv in die Handlung ein. Mit dem Haus geht es in gewisser Weise bergab, für das Haus selbst ist die Nummer 13 allerdings gar keine Unglückszahl, im Gegenteil. Seine Bausubstanz stammt aus einem Betonmischer höherer Klasse, es glaubt sich also immun gegen Aberglauben dieser Art.

 

Außerdem treffen wir uns auf einer Buchmesse. Wie empfindest Du die Atmosphäre auf einer Buchmesse? Bevorzugst Du eventuell die Leipziger, wo Du auch wohnst? Bist Du gerne auf Buchmessen?

Ich mag die Leipziger Buchmesse in der Tat etwas mehr. Das ist, im Gegensatz zu Frankfurt, eine Publikumsmesse, und das merkt man in Leipzig auch, bei Lesungen beispielsweise. Was eine Buchmesse an sich zu einem schönen Erlebnis macht, ist die Tatsache, dass man Kollegen und Verlagsmitarbeiter trifft, die man sonst eben nicht trifft oder nur bei Besuchen im Verlag. Ich freue mich aber auch, wenn nach drei Tagen Messe wieder Ruhe einkehrt.

 

In deinem neuen Roman lässt Du bereits im ersten Kapitel das im Mittelpunkt stehende Haus in der Hebelstraße 13 ein wenig gegen Buchpreis-Romane sticheln. Hast Du eine Abneigung gegen Buchpreise? Wolltest Du mit dieser Passage schlicht einen möglichen Buchpreis für Dich verhindern oder damit erst recht auf Dich aufmerksam machen?

Weder das eine noch das andere, das ist einfach eine Spielerei mit der Autofiktion. Das Haus als ein allwissender und gleichzeitig unzuverlässiger Erzähler formuliert hier einen Wahrheitsanspruch: Es behauptet, dass sich die Geschichte, die es erzählt, exakt so zugetragen hat. Es grenzt sich also zu Geschichten ab, die dezidiert als Romane wahrgenommen werden, also als Werke der Fiktion, Werke der Erfindung. Was natürlich wiederum – ganz offensichtlich – eine Erfindung ist.

 

Wie Du bereits erwähntest, mischt sich das Haus in der Hebelstraße 13 nicht nur erzählerisch in den Romanablauf ein, sondern es greift auch aktiv ins Geschehen ein und bringt so eine sehr schwarzhumorige Note ins Spiel. Lachst Du gerne über Monty Python? Oder wo liegen die humoristischen Vorbilder?

Monty Python ist ein schönes Beispiel. Ich mag diesen hintersinnigen und vor allem schwarzen Humor sehr. Hinter der absurden Komik in den Sketchen und Filmen lag aber nicht selten auch eine starke Gesellschaftskritik verborgen. Und ich glaube, es steckt harte Arbeit in der Herstellung guter Komik. Das Wunderbare an dem Werk der Gruppe war ja unter anderem, dass hier alle Spielarten des Humors zu ihrem Recht kamen. Respektlose Scherze, schrille Albernheiten, anarchischer Witz. So ein wunderbarer Sketch wie die „Wahl zum Trottel der feinen Gesellschaft“ zum Beispiel, das ist ja nicht nur herrlich komisch, wie der körperlich und geistig degenerierte, inzestgeschädigte Adel da über das Feld stolpert, sondern das war ja damals auch die provokante Parodie auf ein Heiligtum, nämlich die britische Upper-Class. Und das ist auch insofern bemerkenswert, weil einige Mitglieder von Monty Python selbst aus dieser Schicht stammten.

 

Die drei noch übrig gebliebenen Mieter im Haus in der Hebelstraße 13 sind keine einfachen, vom Schicksal geschlagenen Figuren. Eine 72-jährige, an Lymphknotenkrebs erkrankte Ex-Deutschlehrerin, ein 55-jähriger arbeitsloser Logistiker und Hausmeister sowie eine 28-jährige, desorientierte Studentin. Mutest Du Deinem Personal zu viel zu? Oder kennst Du keine glücklichen Menschen?

Mich interessieren als Autorin grundsätzlich Figuren, die einen inneren Kampf führen, und der kann durchaus auch existentielle Dimensionen haben. Wohnen und Arbeiten sind zwei identitätsstiftende Merkmale oder Bereiche des Lebens, und der Kampf um den Wohnraum, den die drei führen, wird umso beachtlicher mit dem Hintergrund, dass ihnen eigentlich die Kraft dafür fehlt. Die haben zwar schon alle ihre Eigenheiten, aber für mich sind das Durchschnittsmenschen, die, vor eine Herausforderung gestellt, im Grunde über sich hinauswachsen. Und genau das hat mich beim Schreiben gereizt: Dass hier drei Figuren zu Widerständigen werden, obwohl sie sich selbst gar nicht als besonders widerständig oder revolutionär denken. Und die einzige Waffe, die sie im Grunde haben, ist der Humor, ist das Lachen. Das trägt sie über den Abgrund.

 

Damit sind wir auch schon bei meiner nächsten Frage. Du sprichst in Deinem Roman das wichtige Thema Wohnungsraum an. Wohnungen aus öffentlicher Hand werden privatisiert, und durch Sanierungen steigen die Mieten bzw. die Preise für Eigentumswohnungen in kaum bezahlbare Höhen. Wie kann man dem entgegenwirken? Die Häuser selbst wehren sich ja nur in Romanen wie dem Deinen.

Da werden gerade ganz verschiedene Wege und Modelle diskutiert, von der Wohngemeinnützigkeit über die Verschärfung der Mietpreisbremse bis hin zu einer Neuausrichtung des Mietrechts.

Grundsätzlich fällt uns jetzt das Problem wieder auf die Füße, dass vor allem im Westen in den 80er- und 90er Jahren die Kommunen die wohnungsbaupolitischen Instrumente aus der Hand gegeben haben. Es wurden Sozialwohnungen verkauft, der kommunale Wohnungsbestand wurde extrem eingedämpft. Eine Stadt, die das zum Beispiel nie gemacht hat, ist Wien. In jedem Viertel Wiens gibt es Gemeindebauwohnungen, hier hat man das Thema nie einer renditeorientierten Privatwirtschaft überlassen. Als ich im Herbst 2014 mit den Recherchen für den Roman begann, gab es dazu fast keine Berichterstattung. Da war es ein Problem der Künstler, der Prekären, der Alten. Jetzt findet man beinahe täglich Artikel über diesen Themenkomplex in den großen Tageszeitungen. Das Problem ist in der Zwischenzeit im Mittelstand angekommen, auch Durchschnittsverdiener können sich die Mieten einfach nicht mehr leisten, und das Bedürfnis, diesen Rendite-Exzess zu stoppen, ist groß.

 

Verfolgst Du aktuelle Literatur und auf welche Weise informierst Du Dich über sie?

Ich tausche mich mit Freunden und Autorenkollegen aus. Wir geben uns dann gegenseitig Tipps. Ein Roman, der vor nicht allzu langer Zeit erschienen ist und der mich sehr begeistert hat, war „Worauf du dich verlassen kannst“ der jungen Britin Kate Tempest sowie der Erzählband „Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich“ des österreichischen Schriftstellers Xaver Bayer.Und ich warte ungeduldig auf jedes neue Werk von A.L. Kennedy.

 

Nach welchen Kriterien beurteilst Du die Literatur? Wann fesselt sie Dich?

Auf einer ersten Ebene durch die Sprache. Die eben genannte A.L. Kennedy zum Beispiel entwirft in ihren Erzählungen und Romanen so großartige und ungewöhnliche Bilder, dass man davor staunend verstummt.  Auf die Sprache folgt dann die Figurenzeichnung. Hier ist Simenon ein wunderbares Beispiel. Ihm gelingt es, selbst Nebenfiguren in wenigen, nur hingetuschten Strichen plastisch und komplex zu gestalten. Gutes Timing finde ich wichtig, gerade auch in Hinblick auf komische Szenen, Gespür für Rhythmus.

 

Als Redakteur bei Sounds & Books kommt jetzt von mir unweigerlich die Frage nach Deiner Lieblingsmusik. Gibt es bevorzugte Stilrichtungen und Künstler?

Das ist eine schwierige Frage, denn ich mag nicht nur einen Stil, aber ich höre verhältnismäßig viel Blues, und hier mag ich starke Frauenstimmen, die etwas Gebrochenes haben, nicht sauber klingen, Karen Dalton wäre so ein Bespiel. Und eine Platte, die ich immer wieder hören kann, ist „Greens“ von Manfred Krug, aber der ist ja eigentlich auch schon wieder Jazzer.

 

Letzte Frage: Wovon lässt Du Dich inspirieren?

Von Büchern, Filmen und Taxifahrern. Ich hatte schon wunderbare Gespräche mit Taxifahrern. Es gibt wohl keinen Berufsstand, der, außer Ärzten vielleicht, so nah am Menschen dran ist. Und dann sind das meistens selbst herrliche Typen. Und ich beobachte einfach gerne Menschen, auf der Straße, im Café, wie sie sich bewegen, wie sie reden. Andere würde das wahrscheinlich zu Tode langweilen, aber ich kann stundenlang sitzen und nur schauen.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Kommentar schreiben